Positionsbestimmung 2020

Frau Richensa mit ihrem Beitrag über die Veränderungen im Konsum hat mich ins Nachdenken gebracht. Ja, auch bei Frau Indica sind der Schwung der jungen Jahre, die Unbekümmertheit beim Bloggen ein bisschen verflogen.

Was haben wir für einen ernsthaften Quatsch gemacht, uns ständig persönlich getroffen und all das ins Real Life verlängert. Damals (TM), als ich 2005 auf dem Spielzeug-Provider startete.

2006 gab’s zum Umzug auf die eigene .de-Domain und einem Neustart im Job die hässlichen Seiten des Netzes mitgeliefert. “Darf eine Pressesprecherin bloggen? Was privat ins Netz schreiben?” Die niggeligen Suchenden aus der kleinen, bösartigen Stadt am Rande der Republik hatten mein Blog noch schneller im Fokus und ausgedruckt auf Papier in Umlauf gebracht, als ich mich als neue leitende Mitarbeiterin im Aufsichtsrat vorstellen konnte.

Ich wurde vorsichtiger, postete tunlichst – naheliegend bei so vielen tollen Theateraufführungen und Festivals – viele der schönen und bunten Seiten meiner Arbeit im Kultur- und Veranstaltungsbereich. Ich bin sehr froh, dass mein damaliger Chef nicht nur mein Schreiben, Fotografieren und Veröffentlichen im Netz als Ausdruck von Fortschritt sah, sondern keineswegs etwas dagegen hatte, die Veranstaltungen des Hauses, der Häuser, bekannter zu machen.

Wir hatten ja noch nüscht!  In meinen WGs in der kleinen Stadt war WLAN schon das Ding überhaupt, an mobile Daten oder  ein Smartphone war aber noch länger nicht zu denken. Klar hatte ich ein Handy, ein dienstliches dazu. Ich legte ein erstes Twitter-Profil fürs Unternehmen an, einen Facebook-Account. Da passierte aber nicht viel, das nahm kaum einer als Kanal ernst. Instagram war noch nicht erfunden. Wir sprechen über Zeiten, in denen eine Kollegin betonte, dass “unsere Rentner-Abonnenten” doch gar keine Mailings per E-Mail wollten oder selbst mailen könnten. Weit gefehlt. Wer nicht selbst damit zurechtkam, ließ sich von Kindern oder Enkeln helfen. Wir kommunizierten bald regelmäßig mit “unseren Senioren” per Mail.

Meinen eigenen Twitter-Account fixte mir weiland der Herr Exit – als er noch bloggte und den ich genau darüber kennenlernte – als wir gemeinsam ein “Klassik zum Liebhaben”-Konzert auf dem Gendarmenmarkt im Sommer besuchten. An das Was-und-Wann bei Facebook erinnere ich mich nicht mehr so genau. Ich weiß, dass ich aber sofort meine Privatsphäre-Einstellungen dezidiert einrichtete.

Eigentlich mochte ich mein Blog immer lieber als die Fremd-Silos. Aber es wurde dort halt alles einfacher. Nicht mehr die Fotos von der Kamera auf den Rechner laden, bearbeiten und ins inzwischen völlig überholt-antike Textpattern hochladen, das zwar nischig, aber neben WordPress eine ganze Weile ernst zunehmen und open source weiterentwickelt wurde.

Ich baute viele Foto-Reportagen. Text und Bild waren mir immer gleich lieb. Ich habe so ziemlich immer in meinem Leben fotografiert und einige Jahre unter anderem damit einen Teil meines Geldes verdient.

Da ich abends im kleinen Städtchen am Rande der Republik häufiger Zeit hatte, bloggte ich viel. So fühlte ich mich außerdem mit der Welt da draußen verbunden. Ich lernte auch etliche Leute, die Freundinnen und Freunde wurden, darüber kennen. Die Frau Richensa entdeckte die Fotos vom Lokomotiven-Friedhof in FFO nicht im Blog, sondern auf Yelp, und so lernten wir uns irgendwann analog beim Besuch einer tollen Ausstellung, die sie mitorganisiert hatte, persönlich kennen. Wir hatten früher (TM) andere soziale Medien, etwas umständlicher, aber nicht weniger aufregend.

Mein erstes Smartphone erbte ich von einer Fotografinnen- und Journalistinnen-Kollegin, die ein Android-Vorgängermodell übrig hatte. Ich hatte recht lange gedacht, das nicht dringend zu brauchen. Meine Kamera hatte die größeren Speicherkarten und ganz bestimmt die besseren Objektive.

Aber. Am 1. April 2015 rückte ich plötzlich und unerwartet ins Krankenhaus zur schönen Aussicht ein und blieb gleich zehn Tage da. Gut, dass ich kurz zuvor, wenn auch grummelnd, das Smartphone in Betrieb genommen hatte. Sehr viele  Mobildaten hatte ich noch nicht, die Netze waren wackliger als heute. Ich bloggte abends im Ein-Finger-Tipp-System am Mikro-Bildschirm. Las mich durchs Internet, immer den Datenverbrauch im Blick. Fotografierte vom ersten Moment an und dokumentierte meine Zeit im Krankenhaus. Ich fühlte mich sicher, mit meinem persönlichen Erreichbarkeits- und Weltzugangstool in der Hand und unter der Bettdecke. So fand ich mein Thema zum “Körper”-Foto- und Ausstellungsprojekt, mit dem ich länger erfolglos gerungen hatte. Telefonieren und Fotografieren halfen mir, mit der Situation besser fertig zu werden. Ich dokumentierte mich und meine Situation: Ja, das fand alles so statt. Ich hatte das erlebt. Ich konnte mich meiner Welt und meiner Wahrnehmung vergewissern.

Ich glaube, in der Zeit fing ich ebenfalls mit Instagram an. Die Formate waren gerade erst mehr als quadratisch geworden. An Stories war noch nicht zu denken, Snapchat nicht erfunden.

Irgendwann war Textpattern als CMS zu antik geworden. Erst klappte das Foto-Hochladen nicht mehr, weder auf direktem Weg noch über die FTP-Server-Anbindung . Schließlich hatte ich immer irgendeine hässliche Überzeile mit kryptischem Zeugs auf der Startseite über allem. Noch etwas später war dann gar kein Zugriff mehr möglich, das Blog nicht mehr sichtbar. Mein kleiner Hoster, den ich in persona kenne und der medial ziemlich umtriebig ist, frickelte daran herum. Die frühen Jahre sind jetzt drüben wieder sichtbar.

Aber es war klar: So geht’s technisch nicht weiter. Frau Indica muss anders und vielleicht auch eine andere werden. Wer bloggt schon gern unter großem Geruckel? Ohne Fotos machte es mir erst recht keinen Spaß.

Seit Herbst 2015 habe ich bekanntermaßen ziemlich viel mit dem “dienstlichen Essen” zu tun. Ich klöppele jede Woche 8.000 Zeichen darüber und noch einiges mehr für andere (PR-)Kunden. Mein Elan, in meiner Freizeit ausufernd zu schreiben, ließ nach. Eine Frau-Indica-Reparatur erschien mir zu umständlich, ich hätte auch nicht gewusst wie und von wem. Außerdem war Instagram da. Nach wie vor freue ich mich über meinen kleinen, feinen Account, auf dem Essen und Trinken eher in den Stories und dauerhaft in den Highlights ihren Platz gefunden haben. So manchen Follower kenne ich persönlich und es gibt einige Menschen, bei denen ich mich sehr freue, dass sie mir folgen. Meine Kalender sind inzwischen im kleinen Quadratformat gedruckt – guess why.

Ambitionen, mir mehr Reichweite und Interaktion zu erschaffen, wie so’n Influencer sind mir wesensfremd. Es  ist halt letztlich Marketing und fix ein Vollzeitjob, den sich ständig ändernden Algorhytmen des Facebook-Konzerns hinterherzujagen. Die Zeit habe ich nicht, ich muss mein Geld verdienen und das tue ich nicht damit.

Meine Freundin Carol von almostdiplomatic – eine ausgebildete Multimedia-Journalistin – und ich stellen immer wieder fest, dass es – hörthört!- einen Unterschied zwischen Influencertum und journalistischer Herangehensweise gibt: Ich halte für mein Leben gern meine Kamera auf Teller, Gläser, Bühnen, Schauspieler, Küchenchefs. Auf das, was ich da draußen interessant finde. Natürlich gibt’s ab und an auch ein Foto von mir, aber mein Fokus liegt in aller Regel nicht auf der Selbst-Beschau. Ich vergesse schlichtweg, mein Gesicht im “Ich und mein Champagnerglas”-Selfie-Look in die Kamera zu halten, obwohl es Gelegenheit genug dazu gäbe. Nur wenn Carol dabei ist, werde ich zum routinierten Toast Master per Boomerang. Aber sonst finde ich mich selbst nicht soo wichtig.

Das Instagrammen, Bloggen und Twittern scheint mir so ernst geworden. Manchmal verbissen bis bösartig, manchmal nur profitorientiert und ruhmessüchtig. Das finde ich meist nicht besonders interessant. Auch wenn es bei Instagram Profile gibt, bei denen ich mich köstlich amüsiere. Ich mag Mademoiselle Nicolette mit ihrem Account @nicolette.vlogt und dem “Dirty Donnerstag” sehr gern, ebenso die handfest bayrische Mösi von @pinkpersianunicorn. Selbst die Werbeeinlagen mit Klamotten-Hauls oder Shampoo-Promo nehme ich gut gelaunt hin, habe mich sogar zu maskentauglichen Lip Tints hin influencen lassen. Die beiden sind super Entertainerinnen und selbstironisch, was ich unabdingbar finde, um mich gut unterhalten zu fühlen.

Ich selbst habe null Lust auf DIY-Bewegtbild, schaue mir aber gern bei vielen die Stories an. Das hat einen weiteren positiven Nebeneffekt, den ich beruflich nicht unwichtig finde: Ich bekomme mit, was junge Menschen (TM) online treiben und tun. Reels finde ich gelegentlich witzig wahr, sie gehen mir aber schnell auf die Nerven. Einen Tiktok-Account möchte ich nicht auf meinem Telefon. Die chinesischen Datenkraken sind mir deutlich suspekter als die amerikanischen.

Bei einem unserer digitalen Kaffeekränzchen im Corona-Frühling fragte mich Herr Spontiv, ob er mir etwas Gutes tun könne. Ich bat ihn, mir bei Frau Indica reloaded behilflich zu sein und das Kuddelmuddel mit der alten Seite zu beenden. So kam die neue Seite mit der com-Endung in die Welt und Frau Indica betrat nach 15 Jahren, davon mehr als eineinhalb Jahre ohne neuen Beitrag, das Internet neu. Danke, Herr Spontiv, sonst würde dieser ratlos-bloglose Zustand weitere zehn Jahre angehalten haben!

Eine gewisse Ratlosigkeit ist geblieben: Wer ist Frau Indica im Jahr 2020? So unbekümmert wie anno 2005, als meine in die Ferne gezogene Freundin Lila mit ihren Letters from Rungholt mich zum Bloggen brachte und die Frau Croco meine erste echte Kommentatorin wurde, ist sie nicht mehr. Das mag mit der #anderaktuellensituation zu tun haben, die insbesondere mein Berufsleben ziemlich belastet und in der ich mich häufig genug innerlich auf schwankenden Planken befinde.

Ich, die Person hinter der Figur, bin nach wie vor nicht bereit, nur noch ernsthaft, erwachsen und monothematisch über etwa Berufliches zu bloggen. Ich mag mich nicht beschränken, bin ohnehin eher aus dem Team Expertin für alles. Was mich regelmäßig beschäftigt, kann in die Kategorien einfließen. Wenn ich nur wüsste, wie ich Instagram-Fotos gleich dahin umlenke, beispielsweise. Das werde ich sicher auch noch herausfinden.

Ohne den ernsthaften Blick auf die Absurditäten des Lebens wird es für mich nicht gehen. Sonst würde ich eingehen wie eine Primel. Herr Spontiv behauptet sowieso, ich sei eine verkappte Landfrau, so häufig wie ich Blümchen, Parks, Landschaften und Idyllen ins Netz stellte. Tsss!

Auch kann ich diese unpersönlichen “Über”-Blogs nicht gut leiden, bei denen versucht wird, tunlichst alles Konkrete und Persönliche zu verbergen. Das wird mir zu glatt, ich gleite daran ab. Privat muss es nicht sein, persönlich aber bitte in jedem Fall. Diese neue Frau Indica allerdings ist öffentlich sichtbar. Ich hoffe, mir dadurch nicht eines Tages die Pest an den Hals zu ziehen.

Schaun mer mal, wohin sich Frau Indica weiterentwickelt. Ich werde einfach mal machen, wie ich Zeit und Laune habe. Die Lust auf vieles da draußen ist nach wie vor da, trotz der Funkstille. Mir tut das langsame, etwas umständliche Rumfummeln, Bedenken und Korrigieren beim Schreiben gut. Der viele Platz online sowieso, ich bin Team Langstrecke, mag es Gedanken hin- und herzubewegen.

Meine Laune ist nach dem Schreiben dieser ersten beiden Beiträge jedenfalls gleich gestiegen. Das ist sicher nicht die schlechteste Folge vom Bloggen, schon gar nicht #indiesenzeiten.